Seit vielen Jahren ist die Frage nach dem sozialversicherungsrechtlichen Status von auf Honorarbasis freiberuflich tätigen Lehrern – etwa Volkshochschul- oder Musiklehrern, aber auch (Sport-)Trainern und Dozenten – eines der großen Streitthemen vor den Sozialgerichten. Bundestag und Bundesrat haben dieser unendlichen Geschichte mit der Verabschiedung des am 1. März 2025 in Kraft getretenen § 127 SGB IV ein neues, überraschendes Kapitel hinzugefügt. Diese Norm wird zu teils gravierenden Änderungen in der Rechtslage, bei den finanziellen Folgen, aber auch im Umgang mit dieser Thematik bei künftigen Vertragsgestaltungen führen.
Mit dem als befristet bis zum 31.12.2026 eingeführten § 127 SGB IV wird insbesondere das Ziel verfolgt, kommunale Einrichtungen vor etwaigen hohen Beitragsnachforderungen zu schützen und zugleich eine Übergangsfrist für die Neugestaltung der Vertragsbeziehungen zu schaffen.
Es wurden deshalb insbesondere folgende Regelungen getroffen:
Nach dem Wortlaut des Gesetzes wurde eine Übergangsregelung für „Lehrtätigkeiten“ getroffen. Es lässt sich deshalb aus unserer Sicht gut argumentieren, dass § 127 SGB IV auch bei anderen Tätigkeiten, die als „Lehrtätigkeit“ zu verstehen sind, anwendbar ist.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Beitragspflicht erst ab 2027 besteht, sind bewusst sehr gering gewählt worden und vermutlich in aller Regel leicht erfüllbar.
Die Übergangsregelung verhindert nicht, dass im Rahmen von Betriebsprüfungen Lehrtätigkeiten, die tatsächlich oder vermeintlich auf Grundlage eines Honorarvertrages erbracht werden, näher geprüft werden. Dies kann dazu führen, dass für die Zeit vom 1. März 2025 bis zum 31. Dezember 2026 bei den Lehrkräften selbst Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder im Rahmen der Künstlersozialversicherung erhoben werden.
Während den geprüften Arbeitgebern für die Zeit bis 2026 grundsätzlich keine Nachforderung drohen soll, sieht es deshalb bei den Lehrkräften, denen die Rentenversicherungspflicht für selbständige Lehrer möglicherweise gar nicht bekannt ist, anders aus. Diesen droht eine Beitragsforderung nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI bzw., was gerade bei Musikschulen von höherer Relevanz ist, den Regelungen des KSVG.
§ 127 SGB IV enthält keinen Ausschluss einer rückwirkenden Regelung. Wir sehen deshalb grundsätzlich die Möglichkeit, nicht nur bei laufenden Betriebsprüfungen eine Beitragspflicht zu verhindern, sondern im Ergebnis auch bereits bestandskräftige Bescheide noch angreifen zu können, in denen Sozialversicherungsbeiträge für Lehrtätigkeiten festgesetzt wurden.
In Ansehung der Sonderregelung könnte man versucht sein, jetzt eine förmliche Feststellung für Lehrtätigkeiten als Beschäftigung etwa im Rahmen einer Statusfeststellung zu erreichen, um die Beitragsfreiheit bis einschließlich 2026 sicher zu haben. Für die Lehrkräfte selbst wäre dies jedoch durchaus problematisch, da ihnen dann mit höchster Wahrscheinlichkeit für die Zeit bis 2026 eine eigene Inanspruchnahme als Selbständige – dies insbesondere bei der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz Nr. 1 SGB VI – droht.
Es ist deshalb in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen und abzuwägen, ob und wenn ja welche Schritte im Hinblick auf bestehende oder neu begründete Lehrtätigkeiten aktiv eingeleitet werden sollen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Übergangsregelung dazu dienen, dass sich die Beteiligten auf die geänderte Rechtsprechung und ihre Konsequenzen einrichten können, um ihre Vertragsbeziehungen neu zu justieren. Stand jetzt ist davon auszugehen, dass die Rentenversicherungsträger im Rahmen ihrer Prüfungen für die Zeit ab 2027 das Besprechungsergebnis aus 2023 anwenden.
Abzuwarten bleibt allerdings, ob bzw. inwieweit es vielleicht eine politische Lösung geben wird:
Der Bundesrat hat in einer am 14. Februar 2025 beschlossenen Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, eine Lösung zum statusrechtlich sicheren Einsatz von Lehrkräften in Schulen, Einrichtungen der Weiterbildung und des Kulturbetriebs sowie an Hochschulen zu erarbeiten und dabei Nachzahlungen für die Zeit zwischen Verkündigung des Herrenberg-Urteils und dem Inkrafttreten einer entsprechenden Neuregelung zu verhindern.
Es bleibt also abzuwarten, ob sich etwas hierzu im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung befindet und, falls ja, ob dies auch tatsächlich umgesetzt wird.
Zum gesamten rechtlichen und gesetzgeberischen Hintergrund (für besonders Interessierte)
Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens hatte die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund entschieden, dass die Tätigkeit einer Musikschullehrerin, die an einer kommunalen Musikschule Klavier- und Keyboard-Unterricht erteilt hat, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung darstelle. Während Widerspruchs- und erstinstanzliches Klageverfahren für die Stadt Herrenberg erfolglos verliefen, gab das LSG Baden-Württemberg ihr recht und sah die Tätigkeit als das, was die beiden Vertragsparteien sie gesehen hatten, nämlich eine freiberufliche Tätigkeit. Nachdem das LSG Baden-Württemberg die Revision gegen sein Urteil nicht zuließ, hatte die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht nur mit einer (nur in den seltensten Fällen erfolgreichen) Nichtzulassungsbeschwerde, sondern auch mit ihrer Revision Erfolg. Der 12. Senat des BSG hat im sogenannten Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Juni 2022 – B 12 R 3/20 R auf einen Einzelfall bezogen eine deutliche Abkehr von früherer Rechtsprechung zu Lehrkräften vorgenommen, was er offensichtlich bewusst wollte.
Die nach dem Herrenberg-Urteil zu befürchtende Tendenz, bei auf Honorarbasis beschäftigten Lehrkräften verstärkt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anzunehmen wurde um so gravierender, als die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung am 8. Mai 2023 ab Juli 2023 maßgebliche Beurteilungsgrundsätze für das Vorliegen einer Beschäftigung beschlossen haben. Obwohl es nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung für die mit erheblichen Folgen verbundene Feststellung einer Beschäftigung einer wertenden Gesamtwürdigung aller Umstände bedarf, die eine pauschale Beurteilung ausschließt, wurde ein Kriterienkatalog aufgestellt, bei dessen Erfüllung von einer Beschäftigung auszugehen sein sollte. Hiervon ausgehend drohten sehr vielen Musikschulen, Volkshochschulen und weiteren Bildungseinrichtungen außerhalb des allgemeinbildenden Schulsystems erhebliche Nachforderungen für die Vergangenheit im Rahmen der regulären Betriebsprüfungen. Denn es gibt keinen Bestands- oder Vertrauensschutz angesichts vorangegangener Betriebsprüfungen, wenn keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen wurden. Auch einen Vertrauensschutz dahingehend, dass bei der Beurteilung keine anderen Maßstäbe angelegt werden können, gibt es nicht.
Die insbesondere für Musik- und Volkshochschulen, aber auch weitere Einrichtungen außerhalb des allgemeinbildenden Schulsystems bestehenden Unwägbarkeiten, insbesondere das Risiko erheblicher Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit, haben auch dank umfangreicher Arbeit von Verbänden dazu geführt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2024 einen Dialogprozess gestartet hat. Es darf vermutet werden, dass auch die drohenden horrenden Nachzahlungen für in kommunaler Trägerschaft stehende Volkshochschulen und Musikschulen ein entscheidender Motivator und Katalysator für den Versuch einer Lösung gewesen sind.
Als eines der Ergebnisse dieses Dialogprozesses wurde vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in seiner einen Tag vor der 2. und 3. Lesung des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR im Plenum des Bundestags veröffentlichten Beschlussempfehlung eine mit dem übrigen Gesetzentwurf gar nicht in Zusammenhang stehende, bis 2026 befristete Sonderregelung für Lehrtätigkeiten mit aufgenommen.
Am 30. Januar 2025 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften beschlossen, dem der Bundesrat am 14. Februar 2025 mehrheitlich zugestimmt hat. Am 28. Februar 2025 ist das Gesetz elektronisch im Bundesgesetzblatt verkündet worden. In diesem Gesetz finden sich thematisch völlig vom anderen Inhalt des Gesetzes abweichend der neue § 127 SGB IV sowie eine hiermit in Zusammenhang stehende Änderung in der Beitragsverfahrensverordnung. Weder in der 2. und 3. Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag am 30. Januar 2025 noch in der Behandlung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes im Bundesrat am 14. Februar 2025 hat einer der Redebeiträge § 127 SGB IV auch nur mit einer Silbe erwähnt.
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