Urlaub ist im Kalenderjahr zu nehmen, ansonsten verfällt. Er verfällt in bestimmten Fällen erst mit Ablauf des 31. März des Folgejahres. Dies gilt aber nur, wenn Sie als Arbeitgeber Ihre Beschäftigten konkret und individuell auf noch bestehende Urlaubsansprüche und den drohenden Verfall hinweisen. Zugleich müssen Sie die Beschäftigten auffordern, den Urlaub bis zum Kalenderjahresende zu nehmen. Seit einer beachtenswerten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem letzten Jahr (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20; wir berichteten) ist für Arbeitgeber das Rettungsnetz der Verjährung weggefallen: Unterlassen es Arbeitgeber, die Arbeitnehmer auf den Verfall der Ansprüche hinzuweisen, so müssen sie noch Jahrzehnte später mit einer Geltendmachung der Ansprüche durch (ehemalige) Arbeitnehmer oder deren Erben rechnen.
Nun erging in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 eine weitere Entscheidung des BAG) zum Urlaub – konkret zum Urlaubsverfall bei Langzeiterkrankung und der Frage, welche Anstrengungen der Arbeitgeber unternehmen kann und muss, wenn ein Arbeitnehmer so früh im Jahr erkrankt, bevor der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nachgekommen konnte.
Wir nehmen dieses jüngste Urteil des BAG zum Anlass, Ihnen einen Überblick zu allem Wissenswerten zum Thema Urlaubsverfall zu bieten:
- Grundsatz des Urlaubsverfalls
Nach den Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) muss der Jahresurlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden, ansonsten verfällt er (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Eine Übertragung von Urlaubsansprüchen auf das nächste Kalenderjahr ist gesetzlich nur vorgesehen, wenn dringende persönliche oder dringende betriebliche Gründe dies rechtfertigen. Wird der Urlaub auf das nächste Jahr übertragen, muss er in den ersten drei Monaten, also bis zum 31. März, genommen werden. Mit Ablauf des 31. März des folgenden Kalenderjahrs verfallen damit sämtliche Urlaubsansprüche im Grundsatz restlos.
Sonderfall – Langzeiterkrankte Arbeitnehmer: Kann der Arbeitnehmer seinen Urlaub bis Ende des Übertragungszeitraums rein tatsächlich nicht nehmen, weil er erkrankt ist, bleibt der Urlaubsanspruch zunächst erhalten. Weil sich hierdurch jährlich erworbene Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern, die über mehrere Jahre arbeitsunfähig erkrankt sind, allerdings ins Unermessliche addieren würden, verfällt nach ständiger Rechtsprechung der gesetzliche Urlaubsanspruch jedoch spätestens 15 Monate nach Ablauf des entsprechenden Urlaubsjahrs. Dies gilt zumindest für den gesetzlichen Urlaub, wenn arbeitsvertraglich zwischen dem gesetzlichen und darüber hinausgehenden vertraglichen Urlaub differenziert wurde.
- Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Nach der Rechtsprechung gilt dieser aufgezeigte Grundsatz des Urlaubsverfalls aber nur dann, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nach folgender Maßgabe nachgekommen ist:
– Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer darüber zu informieren, wie viele Arbeitstage an Urlaub dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr noch zustehen.
– Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer rechtzeitig dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen und ihm mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs bzw. dem 31.03. des Folgejahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht beantragt und nimmt (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16).
– Weil der Arbeitgeber im Streitfall die Darlegungs- und Beweislast trägt, sollte die Erfüllung der Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nachweisbar und dokumentiert
– Hat der Arbeitgeber seine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht erfüllt, ist der Urlaubsanspruch nicht an das Urlaubsjahr gebunden. In diesem Fall tritt der Urlaubsanspruch des abgelaufenen Urlaubsjahrs zum Urlaubsanspruch aus dem nachfolgenden Urlaubsjahr hinzu.
- Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen
Grundsätzlich bestehen diese Hinweispflichten auch gegenüber arbeitsunfähigen Arbeitnehmern. Besonderheiten gelten, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, seinen Urlaub im Urlaubsjahr oder innerhalb des gesetzlichen Übertragungszeitraums bis zum 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) zu nehmen. Hierbei sind drei Konstellationen zu unterscheiden:
– Im Hinblick auf Urlaubsansprüche aus Urlaubsjahren, in welchen der Arbeitnehmer ununterbrochen – auch über den speziellen Übertragungszeitraum für Langzeitkranke von 15 Monaten hinweg – arbeitsunfähig war und deshalb unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat, überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte, kommt es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht an. Hier verfällt der Urlaubsanspruch zum Ende des Übertragungszeitraums (15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres) auch ohne Hinweis und Aufforderung durch den Arbeitgeber. Schließlich hätte der Arbeitnehmer den Urlaub auch mit entsprechender Belehrung nicht nehmen können (BAG, Urteil vom 7. September 2021 – 9 AZR 3/21).
– Hat der Arbeitnehmer jedoch zunächst gearbeitet, bevor er wegen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen konnte, erlischt der Urlaubsanspruch nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 245/19).
– Doch wie verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr gearbeitet hat aber so früh im Jahr erkrankt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen?
Diese Frage entschied das BAG in seiner jüngsten Entscheidung zum Urlaubsverfall (BAG, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20) wie folgt:
Mit Entstehung des vollständigen Urlaubsanspruchs zum 1.1. des jeweiligen Urlaubsjahres muss der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB nachkommen, wenn er sich später erfolgreich auf den Verfall nach der 15-Monatsfrist berufen möchte. Unverzüglich meine hierbei ohne schuldhaftes Zögern. Dies erfordere eine Betrachtung im Einzelfall. Ohne Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa Betriebsferien zu Jahresbeginn) sieht das BAG eine Zeitspanne von einer Woche als ausreichend an, in welcher der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche berechnen sowie die Belehrung formulieren kann. Erkrankt der Arbeitnehmer also innerhalb dieses dem Arbeitgeber für die Belehrung zugestandenen Zeitraums, verfällt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers bei durchgängiger Erkrankung zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres vollständig auch ohne Hinweis und Mitwirkung durch den Arbeitgeber.
Das BAG stellt weiter klar: Erkrankt der Arbeitnehmer so früh im Jahr, dass er unter Beachtung der Zeitspanne, die dem Arbeitgeber zur „unverzüglichen“ Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit zusteht, auch bei ordnungsgemäßer Information nicht den vollständigen Urlaub hätte nehmen können, bleibt der Urlaub für dieses Urlaubsjahr nur so weit erhalten, wie er den Urlaub tatsächlich hätte nehmen können.
Ein Beispiel: Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit einer 5-Tage-Woche ist am 1. Januar 2023 (Sonntag) entstanden. Demnach hätte der Arbeitgeber bis einschließlich 9. Januar 2023 (Montag) Zeit gehabt, seiner Mitwirkungsobliegenheit nachzukommen (unter Berücksichtigung des 6. Januar als Feiertag). Wäre der Arbeitnehmer ab dem Freitag, den 13. Januar, dauerhaft erkrankt, ohne dass der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen wäre, wären nur drei Urlaubstage (10. – 12. Januar) für das Jahr 2023 „unverfallbar“, weil der Arbeitnehmer vom 10. bis 12. Januar hätte Urlaub nehmen können, wenn er darauf hingewiesen worden wäre. Die restlichen Urlaubsansprüche würden im Fall einer Dauererkrankung am 31. März 2025 verfallen.
- Praxishinweise
– Kommen Sie – sofern im laufenden Urlaubsjahr noch nicht geschehen – Ihren Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten als Arbeitgeber nach.
– Prüfen Sie, ob Sie ausreichende Rückstellungen gebildet haben.
– Stellen Sie für die kommenden Urlaubsjahre sicher, dass die Arbeitnehmer sowohl in der ersten Woche eines neuen Urlaubsjahres als auch im laufenden Jahr, spätestens im Herbst des Jahres nochmals auf die Urlaubsansprüche und den Verfall hingewiesen werden.
– Sehen Sie vorhandene Musterunterrichtungsschreiben durch und passen Sie diese auf den Stand der Rechtsprechung an.
– Stellen Sie sicher, dass Sie den Zugangszeitpunkt der Unterrichtungsschreiben dokumentieren und genau nachweisen können.
– Dokumentieren Sie den bereits genommenen Urlaub gut. Im Streitfall müssen Sie als Arbeitgeber gegebenenfalls auch noch Jahre später darlegen und beweisen, dass sämtlicher Urlaub genommen wurde.
Gerne stehen wir Ihnen bei Fragen zu den arbeitgeberseitigen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten zur Verfügung.
Bitte beachten Sie, dass die obigen Ausführungen nur eine verkürzte unverbindliche Zusammenstellung nach heutigem Stand darstellen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit wird keine Haftung übernommen. Gerne stehen die Ihnen bekannten Ansprechpartner unserer Kanzlei hierfür zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartner
Gabriele Falch| Senior Managerin, Rechtsanwältin
Reinmar Hagner | Senior Manager, Rechtsanwalt
Franziska Riegler | Rechtsanwältin
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Arbeitgeberfalle beim Resturlaub – der endlose Urlaubsanspruch