Bis zum 31. Dezember 2022 waren Arbeitnehmer verpflichtet, das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) nachzuweisen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauerte, § 5 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Dies änderte sich mit Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAUB) für viele Arbeitnehmer grundlegend.
Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer sind seit dem 1. Januar 2023 lediglich noch verpflichtet, eine länger als drei Kalendertage andauernde Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen (Feststellungspflicht). Ausnahmen bestehen für Angestellte in Privathaushalten oder bei Konsultation eines Arztes, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Papier erhält der Arbeitnehmer nur noch zu eigenen Dokumentationszwecken (§ 5 Abs. 1a EFZG).
Arbeitgeber:innen erhalten anstelle des bislang bekannten „gelben Scheins“ durch Abruf bei der Krankenkasse des Arbeitnehmers einen Ausdruck, auf dem die wesentlichen Daten wie der Name des Arbeitnehmers, Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Datum der ärztlichen Feststellung und die Kennzeichnung als Erst- oder Folgebescheinigung zu finden sind. Nicht mitgeteilt werden unverständlicherweise der Name und die Fachrichtung des die Arbeitsunfähigkeit feststellenden Arztes.
- Welche neuen Arbeitnehmerpflichten bestehen bei einer Arbeitsunfähigkeit?
Das neue System der eAUB führt zu einer wesentlichen Verschiebung der Arbeitnehmerpflichten bei einer Arbeitsunfähigkeit:
- – Legt der gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer keine AUB vor, stellt dies – sofern keine der vorgenannten Ausnahmen greift – keine Pflichtverletzung dar.
- – Ist – wie in vielen Arbeitsvertragsmustern üblich – eine Vorlagepflicht des Arbeitnehmers vereinbart, führt dies nicht dazu, dass sich der Arbeitnehmer bei Nichtvorlage vertragswidrig verhält. Entsprechende Vertragsklauseln dürften für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer aufgrund der Gesetzesänderung (teil-)unwirksam sein.
- – Dagegen liegt eine Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig einen Arzt aufsucht, um seiner Feststellungspflicht nachzukommen.
- Praktischer Hinweis: Die Krankenkassen geben an, dass ein Abruf der eAUB frühestens am Tag nach dem Arztbesuch zu erwarten ist. Oftmals wird ein Abruf der Krankheitsdaten damit frühestens am fünften Kalendertag möglich sein.
Rechtlich noch nicht abschließend geklärt ist, welche Pflichten den Arbeitnehmer treffen, wenn eine elektronische Übermittlung der Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgt (sog. Störfälle). Zwei Konstellationen sind relevant:
- – Ist der Störfall für den Arzt erkennbar – etwa bei einem Ausfall der Technik – erhält der Arbeitnehmer weiterhin eine Ausfertigung der AUB in Papierform zum Nachweis gegenüber seiner Arbeitgeber:in. Gleichwohl ist nach derzeitigem Stand nicht davon auszugehen, dass durch solche Störfälle Rechtspflichten für den Arbeitnehmer begründet werden. Versäumt der Arbeitnehmer die (rechtzeitige) Vorlage der AUB in Papierform, können hieran vermutlich keine arbeitsrechtlichen Sanktionen geknüpft werden. Erst wenn sich der Arbeitnehmer nach einer Aufforderung durch die Arbeitgeber:in weigert, die AUB in Papierform beizubringen, kann dieses Verhalten einen eigenständigen Anknüpfungspunkt für arbeitsrechtliche Sanktionen – etwa eine Abmahnung – darstellen.
- – Bleibt der Störfall (zunächst) unbemerkt – etwa bei einer fehlerhaften Meldung durch den Arzt, eine unbemerkte Nichtübermittlung an die Krankenkasse oder eine fehlerhafte Bearbeitung durch die Krankenkasse – kommt eine Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer nicht in Betracht. Problematisch kann in diesen Fällen sein, dass aus Sicht der Arbeitgeber:in eine Verletzung der Feststellungpflicht durch den Arbeitnehmer gerade wahrscheinlich erscheint. Gerade in den ersten Monaten des eAUB-Verfahrens sollte daher im Zweifelsfall proaktiv auf den Arbeitnehmer zugegangen werden, um einen alternativen Nachweis der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung durch die eigene AUB-Ausfertigung zu ermöglichen.
- Unverändert: Anzeigepflicht der Arbeitsunfähigkeit
Unberührt bleibt die Pflicht des Arbeitnehmers zur unverzüglichen Anzeige einer Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlicher Dauer (§ 5 Abs. 1 S. 1 EFZG). Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht kann eigenständig arbeitsrechtlich sanktioniert werden.
- Welche Handlungsoptionen bestehen bei einer Pflichtverletzung?
- Zurückbehaltungsrechte des Arbeitgebers
Kam der Arbeitnehmer bisher seiner Vorlagepflicht hinsichtlich der AUB nicht oder nicht rechtzeitig nach, war die Arbeitgeber:in berechtigt, für den entsprechenden Zeitraum kein Entgelt fortzuzahlen, § 7 EFZG. Der Gesetzgeber hat es versäumt, dieses Zurückbehaltungsrecht auf die Pflicht zur rechtzeitigen ärztlichen Feststellung auszudehnen. Damit ist offen, ob das Zurückbehaltungsrecht auch für die neue Feststellungspflicht gilt. Auch wenn die besseren Argumente für ein Zurückbehaltungsrecht der Arbeitgeber:in auch in diesen Fällen sprechen, birgt eine Verweigerung der Entgeltfortzahlung gewisse Risiken, die es im Einzelfall abzuwägen gilt.
- Abmahnungen und weitere Sanktionsmaßnahmen
- – Kommt der Arbeitnehmer seiner grundsätzlichen Feststellungspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nach, kann die Arbeitgeber:in berechtigt sein, den Arbeitnehmer abzumahnen.
Wichtig: Bei der Abmahnung ist die konkrete Pflichtverletzung genau zu benennen. Angesichts der bestehenden Ausnahmen von der Feststellungspflicht – etwa im Fall der Konsultation einer Privatarztpraxis – können sich an dieser Stelle Fehler einschleichen, welche die Abmahnung rechtlich angreifbar Im Zweifelsfall sollte die Arbeitgeber:in die Abmahnung zuvor rechtlich prüfen lassen.
- – Verletzt der Arbeitnehmer neben seiner Feststellungspflicht auch seine Anzeigepflicht, ist auch dieser Pflichtverstoß abmahnfähig. Zur Vermeidung von Rechtsrisiken bietet es sich oftmals an, beide Pflichtverstöße – obgleich sachlich in einem Kontext stehend – in zwei gesonderten Schreiben abzumahnen.
Bei wiederholten Verstößen kommt weiterhin eine ordentliche, bei beharrlicher Weigerung sogar eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.
- Privatversicherte Arbeitnehmer und Konsultation ausländischer Ärzte
Für privatversicherte Arbeitnehmer ändert sich nichts. Sie müssen die AUB weiterhin rechtzeitig bei ihrer Arbeitgeber:in vorlegen. Gleiches gilt für AUB ausländischer Ärzte, wobei in diesen Fällen zusätzlich die strengeren Anzeigepflichten aus § 5 Abs. 3 EFZG zu beachten sind.
- Fazit und Hinweise für die Praxis
- – Arbeitsvertragsmuster sind an die aktuelle Rechtslage anzupassen. Im Rahmen von Abmahnungen muss auf den konkreten Pflichtverstoß nach der neuen Gesetzeslage rekurriert werden.
- – Arbeitgeber:innen sollten ihre Arbeitnehmer über die Einhaltung der geänderten Rechtspflichten der eAUB hinweisen.
- – Die Prozesse im Personalwesen müssen für einen internen Abruf der eAUB bei den jeweiligen Krankenkassen eingerichtet bzw. angepasst werden. Dabei sind auch die betroffenen IT- und Datenschutzabteilungen einzubeziehen.
- – Nach dem Gesetz kann der Arbeitgeber die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch früher verlangen. Erfolgt die Anordnung nicht nur für den Einzelfall (sog. Attestauflage), sind bei Bestehen eines Betriebsrats dessen Mitbestimmungsrechte zu berücksichtigen.
Bitte beachten Sie, dass die obigen Ausführungen nur eine verkürzte unverbindliche Zusammenstellung nach heutigem Stand darstellen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit wird keine Haftung übernommen. Gerne stehen die Ihnen bekannten Ansprechpartner unserer Kanzlei hierfür zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartner
Dr. Viktor Stepien | Partner, Rechtsanwalt
Dr. Daniel Holler | Rechtsanwalt
Die Sonderinformation als PDF-Datei finden Sie im Nachgang verlinkt
Neue Pflichten bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAUB)