Die Europäische Union hat als Reaktion auf die sich rasch verschärfende politische Lage rund um den Ukraine-Konflikt am 23. Februar 2022 und an den darauf folgenden Tagen empfindliche Sanktionen gegen Russland erlassen. Sie beschränken insbesondere die Möglichkeiten Russlands, bestimmte Güter zu beziehen und wirken sich zudem erheblich auf den Finanzfluss aus.
Auf Grund dessen drohen im Rahmen von bestehenden Vertragsverhältnissen zu russischen Vertragspartnern ernste Schwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf die rechtzeitige Lieferung der Waren und (Dienst-)Leistungen und deren Bezahlung. Vertragliche Regelungen und/oder allgemeine Rechtsgrundsätze könnten hier jedoch einen rechtlichen Ausweg bieten.
Unternehmen mit Vertragsbeziehungen nach Russland sollten deshalb zeitnah das veränderte Sanktionsumfeld analysieren und betroffene Vertragsbeziehungen rechtlich prüfen. Zudem sollten weitergehende interne Compliance-Vorkehrungen ergriffen werden.
Nachfolgend möchten wir die EU-Sanktionen und deren rechtlichen Auswirkungen auf Lieferbeziehungen überblicksmäßig zusammenfassen. Diese Darstellung kann jedoch nur als Momentaufnahme verstanden werden. Kurzfristige Änderungen der Rechtslage aufgrund weiterer Sanktionen sind zu erwarten.
1. Welche EU-Sanktionen wurden in Bezug auf Vertragsbeziehungen nach Russland erlassen:
Erstes Sanktionspaket der EU vom 23. Februar 2022
Das erste Sanktionspaket erfolgte auf Grund des Beschlusses Präsident Putins, die zwei nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete Donezk und Luhansk in der Ostukraine als unabhängige Gebietseinheiten anzuerkennen und russische Truppen in diese Gebiete zu entsenden:
Erweiterung der EU-Sanktionsliste (Anhang I der Verordnung (EU) 269/2014)
Die EU-Sanktionsliste wurden um eine Vielzahl von Personen und Organisationen erweitert, hierunter sind auch die rund 350 Abgeordneten des russischen Parlaments, die für die russische Anerkennung der Gebiete Luhansk und Donezk als souveräne Staaten gestimmt haben. Die Aufnahme in die EU-Sanktionsliste führt u.a. zu einem absoluten Verbot von unmittelbaren und mittelbaren Geschäften mit den betroffenen Personen und Unternehmen.
Regionales Wirtschaftsembargo
Für die Gebiete Donezk und Luhansk wurde ein Wirtschaftsembargo mit weitreichenden Handels-, Investitions- und Einfuhrbeschränkungen verhängt. Insbesondere beziehen sich die Beschränkungen auf das Einfuhrverbot von Waren, auf Handels- und Investitionsbeschränkungen für bestimmte Wirtschaftssektoren, auf das Verbot der Erbringung von Tourismusdienstleistungen und auf ein Ausfuhrverbot bestimmter Güter und Technologien.
Kapitalmarktrestriktionen
Auch wurde ein sektorweites Verbot zur Finanzierung der Russischen Föderation, ihrer Regierung und der Zentralbank eingeführt.
Zweites Sanktionspaket der EU vom 25. Februar 2022
Nach dem Beginn der militärischen Aggressionen Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 einigte sich die EU auf weitere Sanktionen gegen Russland. Die Maßnahmen betreffen insbesondere die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Auch die Verschärfung der Exportkontrolle sowie die Einschränkung der Visapolitik wird durch das Sanktionspaket bewirkt:
Verschärfung der warenbezogenen Sanktionen
Gemäß Art. 2 Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. ist die Ausfuhr von Gütern, die auf der EU-Ausfuhrliste aufgeführt sind (sog. Dual-Use-Güter), nach Russland und damit verbundene Dienstleistungen verboten.
Zudem ist gemäß Art. 2a Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. (i.V.m. Anhang VII) die Ausfuhr von Gütern und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten, verboten.
Auch die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien der Ölraffinerie sowie Dienstleistungen in diesem Bereich sind gemäß Art. 3b Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. (i.V.m. Anhang X) verboten. Gleichermaßen gilt gemäß Art. 3c Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. (i.V.m. Anhang XI) ein Ausfuhrverbot für Güter, Technologien und Dienstleistungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Erweiterung der EU-Sanktionsliste (Anhang I der Verordnung (EU) 269/2014)
Erstmals richten sich die Sanktionen direkt gegen Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow. Ihre in der EU befindlichen Vermögenswerte wurden eingefroren. Darüber hinaus wurde die EU-Sanktionsliste um weitere Personen und Organisationen ergänzt.
Verschärfung der finanziellen Sanktionen
Finanziellen Sanktionen wurden verschärft, um Russland von den wichtigsten Kapitalmärkten abzuschneiden. Zu berücksichtigen sind u.a. Verbote im Zusammenhang mit dem Handel oder mit Dienstleistungen in Bezug auf Wertpapiere und Geldmarktinstrumente von Kreditinstituten und anderen Unternehmen, die sich unter öffentlicher Kontrolle befinden und Verbote im Zusammenhang mit der Annahme von hohen Einlagen russischer Staatsangehöriger oder in Russland ansässiger natürlicher oder juristischer Personen.
SWIFT Teilausschluss
Am 26. Februar 2022 haben die EU-Staaten und ihre westlichen Verbündeten zudem beschlossen, die bereits sanktionierten russischen Finanzinstitute zusätzlich aus dem internationalen Zahlungsdienstleistungssystem SWIFT auszuschließen. Durch diesen Teilausschluss wird der Großteil russischer Banken vom globalen Finanzsystem abgeschnitten und erhebliche Teile des Handels zwischen Russland und der EU werden zum Erliegen kommen.
Drittes Sanktionspaket vom 28. Februar 2022
Unmittelbar nach dem Erlass des zweiten Sanktionspakets wurde ein drittes Sanktionspaket gegen Russland erlassen. Dieses führte insbesondere dazu, dass der Luftraum für Flugzeuge russischer Luftfahrtunternehmen sowie von natürlichen oder juristischen Personen in Russland geschlossen wurde. Auch wurden weitere Sanktionen gegen die russische Zentralbank erlassen sowie die Sanktionsliste um weitere Personen und Organisationen erweitert.
2. Wer ist von den EU-Sanktionen betroffen?
Die Europäische Union hat die Sanktionsmaßnahmen unmittelbar in geltendes Recht umgesetzt sowie bereits bestehende Verordnungen entsprechend angepasst. Die Sanktionsmaßnahmen betreffen vor allem den Finanzsektor, aber auch Hersteller bestimmter Produkte wie Flugzeugteile, Halbleiter, Hightech-Güter und Dual-Use-Güter.
3. Rechtliche Bewertung der EU-Sanktionen bei Vorliegen von vertraglichen Regelungen
Force Majeure Klauseln
In den meisten Verträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind üblicherweise Regelungen zur höheren Gewalt (sog. „Force Majeure Klauseln“) enthalten. Unter höherer Gewalt versteht man betriebsfremde, unvorhergesehene, von keiner der Parteien verschuldeten Umstände oder Vorkommnisse, die auch bei größter kaufmännischer Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Generell zielen derartige Regelungen also darauf ab, die Folgen von Störungen der vertraglich vereinbarten Leistungen durch Umstände oder Ereignisse, die der Kontrolle der Vertragsparteien entzogen sind, zu regeln. Der Ukraine-Konflikt und damit zusammenhänge bestehende Exportverbote, Einfuhrbeschränkungen, Grenzschließungen sowie Kriegshandlungen sind ein solches – zumeist auch ausdrücklich genanntes – Ereignis.
Durch diese Force Majeure Klauseln verlängern sich die Leistungstermine und -fristen üblicherweise um die Dauer der höheren Gewalt. Die Leistungspflicht wird zunächst noch nicht endgültig aufgehoben, sondern nur vorübergehend unter gleichzeitigem Ausschluss von Schadensersatzverpflichtungen suspendiert. Die meisten Klauseln enthalten zudem ein Rücktrittsrecht oder ein außerordentliches Kündigungsrecht, sollte die höhere Gewalt über einen bestimmten Zeitraum, meist einige Monate, anhalten. Der Vertrag ist dann im Ganzen rückabzuwickeln, d.h. geleistete Zahlungen sind rückzuerstatten, etwaige bereits erhaltene Teilleistungen sind jedoch zu vergüten.
Auch kurzfristig zu erfüllende Informationspflichten an den Vertragspartner können in Force Majeure Klauseln geregelt sein.
Vorauszahlungsverlangen
Weiterhin enthalten zahlreiche Verträge oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen, insbesondere bei internationalen Geschäftsbeziehungen, Regelungen, die bei Auslandsbezug oder begründeten Anhaltspunkten für ein Zahlungsausfallrisiko eine Lieferung oder Leistung nur gegen Vorkasse bzw. Vorauszahlung Liefer- und Leistungsverpflichtungen können dann – ohne drohenden Nachteil (insbesondere Verzug oder Vertragsverletzungen) – von der (anteiligen) Erfüllung der Zahlungsverpflichtung abhängig gemacht werden. Es besteht dadurch finanzielle Sicherheit und das Vorleistungsrisiko kann insoweit minimiert werden.
4. Rechtliche Bewertung der EU-Sanktionen ohne vertragliche Regelungen
Enthalten sowohl die einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen als auch die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge keinerlei Regelungen zur höheren Gewalt, muss das Eingreifen von EU-Sanktionen im Rahmen der laufenden Rechtsverhältnisse über allgemeine Rechtsgrundsätze gelöst werden.
Unmöglichkeit (§ 275 BGB)
Die erlassenen Sanktionen können grundsätzlich zu einem Fall der sog. Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch („BGB“) führen. Dadurch wird der Schuldner zunächst von seiner Leistungspflicht gemäß § 326 Abs. 1 HS. 1 BGB befreit, zugleich entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung. Das bestehende Vertragsverhältnis wird damit aufgelöst. Bereits geleistete Zahlungen sind zurückzuerstatten. Wurden bereits Leistungen erbracht (sog. „Teilleistung“), ist unter Umständen der Kaufpreis zu mindern und die erbrachten Teilleistungen zu vergüten.
Ob allerdings ein Fall einer andauernden oder temporären Unmöglichkeit vorliegt, ist je nach Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Vertragsverhältnisses sowie der sich ständig ändernden Rechts- und Sachlage zu beurteilen. Es empfiehlt sich deshalb, entsprechende Sorgfalt walten zu lassen. Es ist nicht auszuschließen, dass eine unberechtigte Abstandnahme vom Vertrag Schadensersatzansprüche auslösen kann.
Unsicherheitseinrede (§ 321 BGB)
Weiterhin kann auf Grund der plötzlich eintretenden Gefährdung der Leistungsfähigkeit des Vertragspartners gemäß § 321 Abs. 1 S. 1 BGB bei Vorliegen gewisser Umständen ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden (sog. Unsicherheitseinrede). Diese Gefährdung der Leistungsfähigkeit darf allerdings bei Vertragsschluss nicht erkennbar gewesen und erst nach Abschluss des Vertrags bei dessen Erfüllung aufgetreten sein. Insbesondere der Ausschluss der sanktionierten russischen Finanzinstitute aus dem internationalen Zahlungsdienstleistungssystem SWIFT war – zumindest nach derzeitiger Einschätzung – bis zum 26. Februar 2022 nicht absehbar.
Dieses Leistungsverweigerungsrecht kann der Vertragspartner abwenden, wenn er seine Vertragspflichten erfüllt (Kaufpreiszahlung) oder eine Sicherheit (z.B. Bürgschaft) leistet. Es empfiehlt sich, für die Erfüllung der Vertragspflichten sowie das Leisten einer Sicherheit eine angemessene Frist zu setzen, da mit Ablauf der gesetzten angemessenen Frist ein gesetzliches Rücktrittsrecht begründet wird, § 321 Abs. 2 S.2 BGB.
5. Handlungsempfehlungen
Bei Geschäften mit russischen Vertragspartnern ist vorab zu prüfen, ob der Geschäftspartner von den Sanktionen persönlich betroffen ist.
Sollten bestehende Vertragsverhältnisse mittelbar oder unmittelbar vom Ukraine-Konflikt und damit verbunden Restriktionen bzw. Sanktionen betroffen sein, ist es ratsam, die Vertragsdokumente hinsichtlich vertraglicher Regelungen (Force Majeure Klauseln, Vorauszahlungsverlangen sowie Informationspflichten) zu prüfen.
Parallel dazu sollte geprüft werden, ob unabhängig von einer vertraglichen Regelung auf das gesetzlich vorgesehene Rechtsinstitut der Unmöglichkeit bzw. auf die Unsicherheitseinrede zurückgegriffen werden kann.
Mit betroffenen Vertragspartnern sollte zeitnah das Gespräch gesucht werden, um etwaigen Informationspflichten nachzukommen und in gemeinsamer Abstimmung das Vertragsverhältnis aufrechtzuerhalten oder konfliktfrei aufzulösen bzw. abzuwickeln. Solche Gespräche sollten dokumentiert werden.
Zudem sollte stets berücksichtigt werden, dass die unerlaubte Erfüllung von Verträgen, für die rechtliche Restriktionen bzw. Sanktionen bestehen, strafbewehrt sind und ernste strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Bei Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Lage werden wir diese Sonderinformation zeitnah aktualisieren. Beachten Sie, dass sich auf Grund der aktuellen Lage täglich Änderungen ergeben können.
Für Richtigkeit und Vollständigkeit wird keine Haftung übernommen. Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung und ggf. Umsetzung der oben aufgezeigten Maßnahmen in Ihrem Unternehmen.
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Ergänzend hierzu finden Sie die Ansprechpartner, die sich mit vorstehenden Themen besonders beschäftigt haben.
Ihre Ansprechpartnerinnen:
Alessandra Schnell | Rechtsanwältin, Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
Verena Dorn | Rechtsanwältin, M.Sc. Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
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