Zentrales Risiko für einen Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess ist die Gefahr, zur Leistung von sogenanntem Annahmeverzugslohn verurteilt zu werden. Hiermit ist gemeint, dass Arbeitnehmer nach Abschluss eines gewonnenen Kündigungsschutzprozesses die rückständige Vergütung für vergangene Zeiträume nachfordern können – selbst wenn infolge der Arbeitgeberkündigung tatsächlich keine Arbeitsleistung mehr erbracht wurde. Insoweit tragen vor allem Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko, ob eine arbeitgeberseitig erklärte Kündigung durch die Arbeitsgerichte für wirksam erachtet wird oder nicht. Die Vermeidung dieses wirtschaftlichen Risikos ist nicht zuletzt ein maßgeblicher Faktor bei Bemessung der Höhe einer möglichen Abfindung. Denn mit jedem weiteren Monat der Verfahrensdauer eines Kündigungsschutzprozesses steigt die Summe des möglicherweise nachzuzahlenden Annahmeverzugslohns, falls der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegen sollte.
Kurz vor Jahresende gab es in diesem Zusammenhang eine erfreuliche Nachricht für Arbeitgeber. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit seinem Urteil vom 30. September 2022 (Az. 6 Sa 280/22) den Anspruch eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Annahmeverzugslohn abgewiesen, da der klagende Arbeitnehmer nur unzureichende Bemühungen gezeigt hatte, eine neue Arbeitsstelle zu finden.
Was war der Hintergrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg?
Die beklagte Arbeitgeberin hatte gegenüber dem Arbeitnehmer mehrere – letztlich unwirksame – Kündigungen ausgesprochen, infolgedessen der Arbeitnehmer ab Mai 2017 keine Arbeitsleistung mehr für die beklagte Arbeitgeberin erbrachte. Nach Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzverfahren im April 2021 forderte dieser für den Zeitraum von Mai 2017 bis April 2021 Annahmeverzugslohn.
Dies lehnte die Arbeitgeberin unter Hinweis auf § 11 Nr. 2 KSchG ab, da der Arbeitnehmer im entsprechenden Zeitraum einer anderen Beschäftigung hätte nachgehen können. Denn nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 S. 2 BGB muss sich ein Arbeitnehmer in den Zeiten des Annahmeverzugs zum einen die tatsächlich erzielte Vergütung aus einer anderen Beschäftigung anrechnen lassen; zum anderen muss sich ein Arbeitnehmer auch dasjenige anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Bislang wurde es verbreitet als ausreichend angesehen, wenn sich ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung arbeitslos meldete, um den Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu behalten. Dem folgte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nun nicht mehr: Da der Arbeitnehmer im zu entscheidenden Verfahren mit Blick auf Vermittlungsangebote der Bundesagentur für Arbeit keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen angestellt habe – tatsächlich hatte der Arbeitnehmer zwar eine ganze Reihe von Vermittlungsangeboten erhalten, jedoch im Schnitt nicht einmal eine Bewerbung pro Woche geschrieben –, hätte er es böswillig unterlassen, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgte damit der Auffassung der Arbeitgeberin – auch da die wenigen Bewerbungen des Arbeitnehmers nur von unzureichender inhaltlicher Qualität waren – und wies die Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers ab.
Einordnung der Entscheidung für die Praxis
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg steht in einer Reihe teils jüngst ergangener Entscheidungen der Arbeitsgerichte, welche die Rechtsposition der Arbeitgeber in Bezug auf das Annahmeverzugslohnrisiko insgesamt erheblich stärken:
-Bereits mit Urteil 16. Mai 2000 (Az. 9 AZR 203/99) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ein Arbeitgeber sein Entgeltrisiko im Annahmeverzug mindern könne, indem er den Arbeitnehmer über Stellenanzeigen informiert und zu Bewerbungen veranlasst. Verhindert der Arbeitnehmer auf diese Mitteilungen hin vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses, könne der Annahmeverzugslohn gekürzt werden.
-In der Praxis große Schwierigkeit für Arbeitgeber bereitet oftmals die Frage, ob die Voraussetzung eines anderweitigen Verdiensts oder unzureichender Bewerbungsbemühungen vorliegen. Diesbezüglich entschied das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 27. Mai 2020 (Az. 5 AZR 387/19), dass einem Arbeitgeber ein Auskunftsanspruch gegen einen Arbeitnehmer über die diesem von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zustehen kann, wenn die Einwendung eines böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs wahrscheinlich begründet ist. In diesem Fall kann zudem die Vergütung wegen Annahmeverzugs zurückbehalten werden, bis der Arbeitnehmer seinen Auskunftspflichten nachkommt.
-Im selben Zusammenhang entschied das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Urteil vom 9. November 2021 (Az. 10 Sa 15/21), dass ein Arbeitnehmer seiner Obliegenheiten aus § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG nicht bereits dadurch nachkomme, sich nur arbeitslos zu melden und nicht ernsthaft mit der Suche nach einer Beschäftigung zu befassen.
-Die jüngste Entscheidung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg setzt diese Linie fort und gibt Arbeitgebern eine Richtschnur an die Hand, welche Bewerbungsbemühungen jedenfalls nicht mehr ausreichend sind, um den Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu erhalten.
Die Entscheidung verdient – nicht nur aufgrund der derzeit bestehenden „Überbeschäftigung“ – uneingeschränkten Zuspruch. Zugleich kann die Entscheidung mittelbar das Potential haben, Verhandlungen über die Höhe von Abfindungen maßgeblich zugunsten der Arbeitgeber zu beeinflussen. Denn zum einen dürften vermittelbare Arbeitnehmer oftmals schnell eine neue Stelle finden, zum anderen ist Abwarten und Nichtstun, um nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage das Gehalt nachbezahlt zu bekommen, deutlich risikoreicher geworden. Beide Faktoren könnten den „Preis einer möglichen Abfindung“ erheblich mindern.
Fazit
Die Entscheidungen zeigen auf, dass es arbeitgeberseits – je nach Stand des Verfahrens – verschiedene Möglichkeiten gibt, sich gegen Annahmeverzugslohnansprüche in oder nach einem Kündigungsschutzverfahren zur Wehr zu setzen. Dies wird regelmäßig die Verhandlungsposition des Arbeitgebers hinsichtlich der Zahlung einer möglichen Abfindung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses deutlich stärken.
Gerne stehen wir Ihnen bei Fragen zu den arbeitgeberseitigen Möglichkeiten zur Anspruchsabwehr sowie bei Vergleichsverhandlungen im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren jederzeit zur Verfügung.
Bitte beachten Sie, dass die obigen Ausführungen nur eine verkürzte unverbindliche Zusammenstellung nach heutigem Stand darstellen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit wird keine Haftung übernommen. Gerne stehen die Ihnen bekannten Ansprechpartner unserer Kanzlei hierfür zur Verfügung.
Weitere aktuelle arbeitsrechtliche Themen werden wir in unseren beiden Webinaren am 19.Januar 2023 und am 02.Februar 2023 erläutern. Das erste Webinar im Januar dreht sich um das Individualarbeitsrecht und das zweite Webinar im Februar beschäftigt sind mit dem Thema kollektives Arbeitsrecht. Bei Interesse bitten wir um eine Anmeldung unter seminare@sonntag-partner.de.
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