Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2022 (JStG 2022, BT-Drucksache 20/3879 vom 10.10.2022) sieht neben der Änderung einer Vielzahl von Einzelsteuergesetzen auch die Änderung des für die Immobilienbewertung maßgeblichen Bewertungsgesetzes vor. Die teilweise gravierenden Auswirkungen dieser Änderungen sind allerdings erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Mit dem Gesetzesvorhaben soll die Verkehrswertermittlung von Immobilien für Zwecke der Schenkungs- und Erbschaftsteuer an die geänderte Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 (ImmoWertV) angepasst werden. Die ImmoWertV findet überall dort Anwendung, wo der Verkehrswert (Marktwert) von Immobilien zu ermitteln ist. Sie wird daher vor allem von Gutachterausschüssen, Sachverständigen für die Ermittlung des Grundstückswerts, sachverständigen Immobilienmaklern, Banken und Versicherungen genutzt. Für die Bewertung von Immobilien für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist allerdings das Bewertungsgesetz maßgebend, das sich infolge der geplanten Änderungen stark an der ImmoWertV orientieren wird. In der Folge wird die Immobilienbewertung für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke das aktuelle Preisniveau am Immobilienmarkt eher widerspiegeln und sich damit näher am Verkehrswert orientieren, als dies nach bisheriger Gesetzeslage oftmals der Fall war.
Die geplanten Änderungen, die bereits für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2022 gelten sollen, erhöhen nicht nur die Komplexität des Bewertungsverfahrens, sondern führen in der Regel auch zu höheren Immobilienwerten und damit zu einer höheren Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer.
Was sind die wesentlichen Änderungen?
Zunächst ist festzustellen, dass die Gesamtnutzungsdauer für die Gebäudearten Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke, Wohnungseigentum und gemischt genutzte Grundstücke (Wohnhäuser mit Mischnutzung) entsprechend der ImmoWertV von 70 auf 80 Jahre erhöht wird. Diese Verlängerung der Gesamtnutzungsdauer wirkt sich sowohl im Ertragswertverfahren als auch im Sachwertverfahren werterhöhend aus.
Bei einer Immobilienbewertung im sog. Ertragswertverfahren (anwendbar bspw. für Mietwohngrundstücke und Geschäftsgrundstücke) wird insbesondere die Ermittlung der Bewirtschaftungskosten und die Höhe der Liegenschaftszinssätze geändert:
-Vorgesehen ist eine differenzierte Ermittlung der Bewirtschaftungskosten anhand von Verwaltungs- und Instandhaltungskosten sowie dem Mietausfallwagnis in Abhängigkeit davon, ob eine Wohnnutzung oder gewerbliche Nutzung vorliegt. Die bisher regelmäßig – mangels entsprechender Veröffentlichung der Gutachterausschüsse – pauschale Wertermittlung der Betriebskosten auf Basis eines Prozentsatzes der Jahresmiete entfällt demnach.
-Weiterhin werden die pauschal gesetzlich festgelegten Liegenschaftszinssätze reduziert und an das aktuelle Marktniveau angepasst, was zu einer Erhöhung der Immobilienwerte führt. Sollten jedoch die Gutachterausschüsse für die jeweilige Immobilie einen eigenen Liegenschaftszinssatz veröffentlicht haben, ist dieser nach wie vor vorrangig anzuwenden.
Bei einer Immobilienbewertung im Sachwertverfahren (anwendbar bspw. für Wohnungs- und Teileigentum sowie Ein- und Zweifamilienhäuser, jeweils wenn kein Vergleichswert vorliegt) wird sich die Ermittlung des Gebäudesachwertes nach dem Gesetzesentwurf künftig stark an die ImmoWertV anlehnen und erfährt dadurch eine deutliche Änderung:
-Die für den Sachwert zugrunde zu legenden Regelherstellungskosten werden künftig nicht nur mit den Baupreisindizes, sondern mittels einem Regionalfaktor und einem Alterswertminderungsfaktor an die Marktlage angepasst.
-Durch den Regionalfaktor wird der Unterschied zwischen dem bundesdurchschnittlichen und dem regionalen Baukostenniveau berücksichtigt. Die Regionalfaktoren werden grundsätzlich von den Gutachterausschüssen veröffentlicht. Soweit von den Gutachterausschüssen keine geeigneten Regionalfaktoren zur Verfügung stehen, gilt ein Regionalfaktor von 1,0.
-Der Alterswertminderungsfaktor löst die bisherige Alterswertminderung ab, was im Vergleich zur alten Rechtslage laut Gesetzesbegründung im Ergebnis wertneutral sein soll.
-Ebenso sind bei der Bewertung wie bisher auch die von den Gutachterausschüssen veröffentlichten Sachwertfaktoren zu berücksichtigen. Liegen diese nicht vor, sind die in einer Anlage zum Bewertungsgesetz aufgeführten Wertzahlen Hierbei ist zu beachten, dass auch diese an das aktuelle Marktniveau angepasst werden.
Wie wirken sich die Änderungen aus?
Dies ist natürlich sehr vom Einzelfall abhängig. Insbesondere bei der Bewertung von Immobilien, die bisher mangels entsprechender Daten der Gutachterausschüsse bspw. hinsichtlich Liegenschaftszinssätze oder Sachwertfaktoren nur auf Basis der gesetzlichen Standards bewertet wurden, dürften die Änderungen zu einer erheblichen Wertsteigerung führen.
So hat unsere beispielhafte Bewertung eines Mietwohngrundstücks im Ertragswertverfahren, für das der gesetzliche Liegenschaftszinssatz Anwendung findet, nach neuem Recht eine Wertsteigerung in Höhe von ca. 55 % ergeben. Zu einer Wertsteigerung von ca. 43 % hat unsere beispielhafte Vergleichsrechnung im Sachwertverfahren bei einem Einfamilienhaus geführt.
Auch wenn dies Einzelfallberechnungen sind, so lässt sich daraus doch deutlich ablesen, dass die geplante Gesetzesänderung in vielen Fällen zu einer Höherbewertung führen wird.
Ab wann sollen die Änderungen gelten?
Am 14.10.2022 hat der Bundestag den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf erstmals beraten und an den federführenden Finanzausschuss überwiesen. Das Gesetzesvorhaben bedarf zudem auch der Zustimmung des Bundesrats. Es bleibt demnach abzuwarten, ob die geplanten Änderungen in der jetzt vorgelegten Fassung in Kraft treten, allerdings sind aktuell keine größeren Diskussionen oder Widerstände erkennbar. Die neuen Regelungen wären dann für Bewertungsstichtage ab dem 01.01.2023 anzuwenden.
Handlungsbedarf bis zum 31.12.2022?
Durch die geplante Gesetzesänderung wird die Bewertung von Immobilien für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer in vielen Fällen deutlich höher ausfallen als nach dem bisherigen Bewertungsverfahren. Diese höheren Immobilienwerte werden ab 2023 bei einer Schenkung oder im Erbfall der Besteuerung zugrunde gelegt und erhöhen folglich die Erbschaft- und Schenkungsteuer, wenn die steuerlichen Freibeträge überschritten werden oder keine anderen Steuerbefreiungen greifen.
Daher sollte unter Hinzuziehung eines fachkundigen Steuerberaters geprüft werden, ob die Übertragung von Immobilienvermögen im Wege der Schenkung noch in diesem Jahr steuerlich empfehlenswert ist. Dabei ist zum einen der voraussichtliche Bewertungsunterschied und die mögliche Steuerersparnis für die konkrete Immobilie zu ermitteln. Zum anderen sind aber auch die Bewertungs- und Übertragungskosten und außersteuerliche Interessen zu berücksichtigen.
Für eine individuelle Beratung zu den möglichen Auswirkungen der geplanten Änderungen auf Ihr Immobilienvermögen stehen Ihnen die bekannten Ansprechpartner unserer Kanzlei sowie die nachstehenden fachlich hierauf spezialisierten Berater gerne zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartner:
Barbara Gayer | Partnerin, Rechtsanwältin, Steuerberaterin
Doreen Wilferth | Senior Managerin, Steuerberaterin
Die Sonderinformation als PDF-Datei finden Sie im Nachgang verlinkt.
Änderung der Immobilienbewertung – Handlungsbedarf zum Jahresende?