Am 23.06.2023 wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (im Folgenden AufenthG-nF) vom Deutschen Bundestag verabschiedet und passierte am 07.07.2023 den Bundesrat. Mit diesem Gesetz wird das bisherige Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2019 weiter modifiziert. Das neue Gesetz beinhaltet unter anderem Änderungen, welche die Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland weiter liberalisieren, um so dem starken Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken. Das Gesetz soll frühestens im November 2023 in Kraft treten.
- Erleichterungen für Fachkräfte (§ 18a, 18b AufenthG-nF)
Für Fachkräfte im Sinne des Aufenthaltsrechts wird die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in einigen Punkten erleichtert. Als Fachkraft gelten nach § 18 Abs. 3 AufenthG solche Personen, die einen deutschen oder einen mit einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen (Fachkraft mit akademischer Ausbildung, § 18a AufenthG). Ebenso gehören zu den Fachkräften Personen, die eine qualifizierte Berufsausbildung im Inland absolviert haben oder im Ausland eine Berufsqualifikation erworben haben, die mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertig ist (Fachkraft mit Berufsausbildung, § 18b AufenthG).
-Beschäftigungsmöglichkeiten: Die Fachkräfte haben nunmehr das Recht, jeder qualifizierten Beschäftigung nachzugehen, ohne dass ein Ausbildungsnachweis für diese qualifizierte Beschäftigung erforderlich ist. Qualifizierte Beschäftigungen sind solche, die eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein Studium erfordern, § 2 Abs. 12b AufenthG. Damit wird Arbeitgebern mehr Freiheit bei der konkreten Stellenbesetzung und der Einschätzung eingeräumt, wer für die Stelle geeignet ist.
-Erteilungsentscheidung: Künftig soll die Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis vorliegen (sog. Soll-Vorschrift). Behörden werden insofern in ihrer Entscheidungsmacht, die Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen oder zu untersagen, zugunsten der Erwerbsmigration eingeschränkt.
- Erleichterungen bei der sogenannten „Blauen Karte EU“ (§ 18g AufenthG-nF)
Die „Blaue Karte EU“, die das europäische Pendant zur amerikanischen „Green Card“ ist, wird in § 18g AufenthG-nF nun eigenständig geregelt. Auch hier sind einige Erleichterungen zu verzeichnen:
– Gehaltsschwellen sinken: Die Gehaltsschwelle, die bei der angestrebten Beschäftigung erreicht werden muss, wird von 2/3 auf 56,6 % der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung („BBM“) gesenkt. Auch für Berufsanfänger sinkt die Gehaltsschwelle auf 45,3 % der BBM in der (BBM 2023 = EUR 87.600 West bzw. EUR 85.200 Ost).
-Erleichterungen für Engpassberufe: Bei den sog. Engpassberufen (§ 18g Abs. 2 AufenthG-nF) wird die Gehaltsschwelle von bisher 52 % auf 45,3 % der BBM reduziert. Zudem wird der Katalog der Berufe, die als „Engpassberufe“ anzusehen sind, deutlich erweitert. Besondere Berücksichtigung findet in diesem Zusammenhang die IT-Branche: Hier wird nicht nur die Gehaltschwelle gesenkt, sondern auch die Anforderungen an den jeweiligen Bildungsabschluss. Es genügt künftig eine dreijährige Berufserfahrung, soweit das Erlernte mit dem Niveau einen Hochschulabschluss oder gleichwertigen tertiären Bildungsprogramms vergleichbar ist.
-Absenkung der Mindestbeschäftigungsdauer: Die Blaue Karte EU kann nun bereits für eine Beschäftigungsdauer von mindestens sechs Monaten erteilt werden (§ 18g Abs. 3 AufenthG-nF, bisher mind. zwölf Monate). Das ermöglicht nicht nur eine projektbezogene Einbindung von Fachkräften, sondern eröffnet auch einen weiteren Anwendungsbereich für Entsendungen nach Deutschland auf Basis lokaler Beschäftigungsverhältnisse und damit eine Alternative zur ICT-Karte (§ 19 AufenthG).
-Arbeitsplatzwechsel: Die Möglichkeit des Arbeitsplatzwechsels wird erleichtert (§ 18g Abs. 4 AufenthG-nF), weil keine Zustimmung der Ausländerbehörde mehr erforderlich ist. Das Zustimmungsverfahren hatte in der Vergangenheit häufig zu Verzögerungen aufgrund überlasteter Behörden geführt. Einen frühzeitigen Arbeitsplatzwechsel nach Erteilung der Blauen Karte EU kann die Ausländerbehörde jedoch durch eine Prüffrist bis zu 30 Tage verzögern. Erst nach zwölf Monaten seit Erteilung der Blauen Karte EU entfällt das Zustimmungserfordernis vollständig.
-Bessere Mobilität mit der Blauen Karte EU: Eine praktisch wichtige Erweiterung ist die Mobilität für Inhaber einer ausländischen Blauen Karte EU (§§ 18h ff. AufenthG-nF). So sind Kurzaufenthalte, d.h. bis zu 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen, für geschäftliche Tätigkeiten und Aufenthalte im direkten Zusammenhang mit den Pflichten aus dem Arbeitsvertrag in Deutschland ohne zusätzliche Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis möglich.
- Neu: Die sogenannte Chancenkarte (§ 20a ff. AufenthG-nF)
Die Chancenkarte ist ein vollkommen neues Element im bisherigen Konzept der Erwerbsmigration. Mit ihr soll das Potenzial ausländischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt erschlossen werden. Sie stellt einen befristeten Aufenthaltstitel dar, mit welchem der Karteninhaber eine Erwerbstätigkeit suchen oder Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen durchführen kann. Inhaber der Chancenkarte können z.B. Probearbeitsverhältnisse von jeweils höchstens zwei Wochen eingehen und durchschnittlich bis zu 20 Wochenstunden beschäftigt werden.Die Chancenkarte können Drittstaatsangehörige erhalten, die entweder als Fachkräfte qualifiziert sind oder eine bestimmte Punktzahl erreichen. Darüber hinaus müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein (u.a. anerkannte Berufsqualifikation oder Hochschulabschluss im Drittstaat sowie Sprachkenntnisse in Englisch oder Deutsch). Ein Anspruch auf die Chancenkarte besteht nicht. Die Erteilung liegt im Ermessen der Behörden.
- Ausblick
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung soll zwar frühestens im November 2023 in Kraft treten. Unternehmen sollten aber bereits jetzt prüfen, ob sie von den genannten Erleichterungen Gebrauch machen können, um ausländische Fachkräfte unter Berücksichtigung der neuen/modifizierten Aufenthaltstitel schneller nach Deutschland zu holen. Auch wenn das neue Gesetz nicht umfänglich zufriedenstellende Lösungen für die häufig überlasteten Verwaltungsstellen wie die Bundesagentur für Arbeit, Auslandsvertretungen und kommunale Ausländerbehörden bietet, deren durchschnittliche Bearbeitungszeiten sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hatten, ist es doch ein Schritt in die richtige Richtung. Eine frühzeitige und gezielte Planung sowie Einleitung des Antragsverfahrens bleiben dennoch wesentlich für eine erfolgreiche Erwerbsmigration.
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Die Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung ist beschlossene Sache