Nach dem infolge der letzten Bundestagswahl erfolgten Regierungswechsel sind durch die nunmehr regierende Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (Koalition) verschiedentliche Änderungen an den bestehenden Regelungen der Unternehmensmitbestimmung vorgesehen. Insgesamt ist geplant, die Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung erheblich zu verschärfen und bisherigen „Vermeidungsstrategien“ einen Riegel vorzuschieben. Die Überlegungen hierzu sind nicht gänzlich neu. Doch während es in den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen diesbezüglich noch vielfach um eine Neujustierung der maßgeblichen Schwellenwerte für das Eingreifen des Mitbestimmungsgesetzes ging, überraschen die nunmehr im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen:
- Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen werden wir bewahren. Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.
- Koalitionsvertrag, S. 72
Mit dieser Sonderinformation ordnen wir für Sie die angekündigten Maßnahmen in das bestehende Regime der Unternehmensmitbestimmung ein und geben einen Ausblick auf mögliche Auswirkungen und Handlungsbedarf für Unternehmen in Deutschland.
- Verhinderung „missbräuchlicher“ Umgehungen von Mitbestimmungsrechten
Das erste Ziel, welches der Koalitionsvertrag festschreibt, bleibt äußerst vage. Es wird bereits nicht deutlich, ob es sich um einen bloßen Programmsatz oder die Absicht nach konkreten Maßnahmen handelt, wie sie die SPD im Wahlkampf gefordert hat.
Konkret monierte die SPD, dass sich das deutsche Mitbestimmungsrecht – zum Stand heute – nicht auf ausländische Gesellschaftsformen, die SE-Gesellschaft (lat.: Societas Europaea – „Europäische Aktiengesellschaft“) sowie insbesondere Stiftungen erstreckt. Entsprechend stellt der Einsatz einer dieser Gesellschaftsformen eine beliebte Möglichkeit dar, die Unternehmensmitbestimmung auszuschließen.
An dieser Stelle könnte der Gesetzgeber tätig werden und etwa die Stiftung unter den Anwendungsbereich der Mitbestimmungsnormen fassen. Um der unternehmerischen Mitbestimmung zu entkommen, wäre ein Ausweichen auf die Unternehmensform der Stiftung & Co. KG nicht mehr zielführend.
Ausländische Gesellschaftsformen sowie die SE unterfallen genauso wie die Stiftung nicht dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Mitbestimmungstatbestände. Indessen wäre eine Erstreckung der deutschen Mitbestimmung auf ausländische Gesellschaftsformen sowie SE-Gesellschaften ein schwieriges Unterfangen sowohl im Hinblick auf die EU-Niederlassungsfreiheit als auch das Territorialitätsprinzip. Eine entsprechende Umsetzung erscheint daher unwahrscheinlich.
Wenngleich damit das latente Risiko besteht, dass jedenfalls Stiftungen in den Anwendungsbereich der Mitbestimmungsnormen aufgenommen werden könnten, ist zu konstatieren, dass der Koalitionsvertrag in diesem Punkt äußerst vage bleibt. Man könnte den entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag („Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern“) auch schlicht so verstehen, dass er sich nur auf die Einschränkung des „Einfriereffekts“ bei der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) beziehen soll (hierzu im Folgenden).
- Einschränkung des sog. „Einfriereffektes“ in SE-Gesellschaften
Eine in der Praxis häufig gewählte Möglichkeit, die Unternehmensmitbestimmung für die Zukunft zu vermeiden, besteht im Einsatz sog. SE-Gesellschaften.
Für die SE gilt ein eigenes Mitbestimmungsregime aufgrund der europäischen Richtlinie 2001/86/EG sowie des deutschen SE-Beteiligungsgesetzes. Hiernach muss bei Gründung der SE zwar der Status der Mitbestimmung mit den Arbeitnehmern verhandelt und es dürfen die vor Gründung einer SE geltenden Rechte der Arbeitnehmer nicht gemindert werden. Besteht jedoch bei Gründung der SE noch keine Unternehmensmitbestimmung und wird eine solche mit den Arbeitnehmern nicht aktiv vereinbart, kann die SE ohne Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat errichtet werden – auch und gerade in dem Fall, dass keine Einigung mit den Arbeitnehmern erzielt wird.
Dieser zu Beginn geschaffene mitbestimmungsfreie Status bleibt selbst dann aufrechterhalten („eingefroren“), wenn die SE-Gesellschaft organisch über die bestehenden Schwellenwerte des Mitbestimmungsgesetzes (ab 2.000 inländischen Arbeitnehmern) bzw. des Drittelbeteiligungsgesetzes (ab 500 inländischen Arbeitnehmern) hinaus wächst. Lediglich bestimmte – und damit steuerbare – strukturelle Änderungen der SE-Gesellschaft können diesen sog. „Einfriereffekt“ in der Zukunft noch überwinden.
Die Koalitionspläne gehen dahin, diesen „Einfriereffekt“ aufzulösen. Der einmal geschaffene mitbestimmungsfreie Status soll nicht dauerhaft erhalten bleiben, wenn es zu einem organischen Zuwachs von Arbeitnehmern in der SE kommt.
Jedoch ist anzumerken, dass aufgrund des europarechtlichen Grundsteins der SE und der damit fehlenden nationalen Regelungskompetenz eine Verschärfung der Mitbestimmung auf Ebene der SE allein durch den deutschen Gesetzgeber gegen das Recht der Europäischen Union verstoßen und sich damit nicht umsetzen lassen dürfte. Doch auch ein stattdessen durch die deutsche Bundesregierung auf Ebene der Europäischen Union möglicherweise forcierter Rechtsänderungsakt erscheint äußerst fraglich. Denn die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist im europäischen Vergleich bereits sehr weitreichend und den übrigen Mitgliedsstaaten in dieser Form fremd. Die deutsche Bunderegierung dürfte folglich auf erheblichen (bzw. unüberwindlichen) Widerstand stoßen.
Damit könnte allenfalls die Definition der „strukturellen Änderungen“ nach dem SE-Beteiligungsgesetz auf nationaler Ebene modifiziert werden, um den „Einfriereffekt“ auf diese Weise bei künftigen Änderungen zu durchbrechen. Doch auch insoweit wird – wenngleich etwas weniger scharf – die Frage nach der europarechtlichen Zulässigkeit einer entsprechenden Änderung des SE-Beteiligungsgesetzes in Zweifel gezogen, was das Vorhaben der Bundesregierung auch in diesem Punkt ambitioniert erscheinen lässt.
- Verschärfung der Konzernzurechnung nach Drittelbeteiligungsgesetz
Zuletzt setzt es sich die Koalition zum Ziel, den Anwendungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes durch eine Ausweitung der sog. Konzernzurechnungstatbestände auszudehnen, wobei die Konzernzurechnungsregelungen aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden sollen. Da es sich hierbei um rein nationale Regelungen handelt, fiele eine entsprechende Gesetzesänderung sehr viel leichter, wobei die Auswirkungen erheblich wären.
Nach derzeitiger Rechtslage werden nach Drittelbeteiligungsgesetz die in einer Tochtergesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer der Muttergesellschaft für die Schwellenwertbestimmung nur zugerechnet, wenn zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Beherrschungsvertrag besteht oder die Tochtergesellschaft in die Muttergesellschaft eingegliedert ist (sog. „Drittelbeteiligungslücke“). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor und beschäftigt das Mutterunternehmen nicht selbst mehr als 500 Arbeitnehmer, scheidet die Drittelbeteiligung aus.
Demgegenüber sieht das Mitbestimmungsgesetz bereits erheblich weitergehende Zurechnungstatbestände von Arbeitnehmern in Konzernunternehmen vor. Diese bisher nur im Mitbestimmungsgesetz geltende weitreichendere Konzernzurechnung will die Koalition auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen. Zukünftig sollen damit Beschäftigte einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft auch dann zuzurechnen sein, wenn diese ihre Tochtergesellschaft nur faktisch beherrscht, etwa die Mehrheit der Stimmrechte hält.
- Verschärfung der Zurechnung nach Drittelbeteiligungsgesetz für die GmbH & Co. KG
Im gleichen Zuge könnte der bislang nur im Mitbestimmungsgesetz geregelte Zurechnungstatbestand des § 4 Abs. 1 MitbestG für Kommanditgesellschaften in das Drittelbeteiligungsgesetz überführt werden.
Ob entsprechendes geplant ist, ist nach dem Inhalt des Koalitionsvertrags zwar noch unklar, da der Koalitionsvertrag nur von einer Übertragung der Regelungen zur Konzernzurechnung spricht, die Vorschrift des § 4 Abs. 1 MitbestG jedoch systematisch (jedenfalls nicht im engeren Sinne) keine derartige Regelung darstellt. In Anbetracht der offenkundigen Zielsetzung, die Zurechnungstatbestände des Mitbestimmungsgesetzes umfassend auf das Drittelbeteiligungsgesetz zu überführen, erscheint eine entsprechende Übertragung der Regelung aber wahrscheinlich.
Im Ergebnis würde dies jedoch bedeuten, dass Kommanditgesellschaften mit bereits mehr als 500 Arbeitnehmern in ihrer Komplementärin einen drittelbeteiligten Aufsichtsrat einrichten müssten,
- wenn die Komplementärin eine AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft oder ein VVaG ist
- und die Mehrheit der Kommanditisten auch in der Komplementärgesellschaft die Mehrheit hat oder es sich um eine Einheits-KG handelt.
Unabhängig hiervon könnte eine Zurechnung der Arbeitnehmer einer Kommanditgesellschaft zu ihrer Komplementärin künftig auch über den allgemeinen Konzernzurechnungstatbestand der einheitlichen Leitung erfolgen. Bei Gesellschaften, die dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen, ist dies bereits heute nach herrschender Meinung unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dies müsste künftig konsequenterweise auch für drittelbeteiligte Gesellschaften gelten.
- Einordnung und Ausblick
Bereits jetzt steht fest, dass die angekündigten Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen haben werden, die in der Regel weniger als 2.000 und mehr als 500 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen.
Von den geplanten Vorhaben erscheint die Übertragung der Konzernzurechnungsregeln und des Mitbestimmungsgesetzes auf Gesellschaften, die dem Drittelbeteiligungsgesetz unterfallen, am wahrscheinlichsten. Von den denkbaren Maßnahmen wäre dies aber zugleich auch diejenige, die in der Praxis die größten Auswirkungen hätte.
Potenziell betroffene Unternehmen – also solche, die in der Regel mehr als 500, aber weniger als 2.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen – sollten sich deshalb schon jetzt auf das Thema Unternehmensmitbestimmung vorbereiten. Dies gilt nicht nur – aber insbesondere – für Familienunternehmen, deren Konzernmutter regelmäßig eine Holdinggesellschaft ist und in deren Tochter- und Enkelgesellschaften die unterschiedlichen sowie oftmals familiär geprägten Interessen fein austariert sind und bleiben sollen.
Obige Ausführungen stellen eine unverbindliche Zusammenstellung nach heutigem Stand dar. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit wird keine Haftung übernommen. Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung und ggf. Umsetzung der oben aufgezeigten Maßnahmen in Ihrem Unternehmen.
Ihre Ansprechpartner:
Dr. Klaus Leuthe | Partner, Rechtsanwalt
Dr. Andreas Katzer | Partner, Rechtsanwalt
Christiane Heyne | Direktor, Rechtsanwältin
Daniel Stix | Senior Manager, Rechtsanwalt, Steuerberater
Dr. Viktor Stepien | Senior Manager, Rechtsanwalt
Die Sonderinformation als PDF-Datei finden Sie im Nachgang verlinkt.
Koalitionspläne zur Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung