von Ulrike Trägner und Reinmar Hagner, Sonntag & Partner
Neue Hürden für die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer
Mit Wirkung zum 30.12.2016 hat der Gesetzgeber einen neuen § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in das Gesetz eingefügt. Danach ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen unwirksam, die der Arbeitgeber ohne eine vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht. Diese Hürde tritt nun zu der erforderlichen Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85 ff. SGB IX hinzu.
Bisherige Rechtslage
Auch nach der bisherigen Regelung von § 95 Abs. 2 SGB IX war es im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung notwendig, vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung anzuhören. Der Verstoß gegen diese Pflicht stellte zwar wie heute auch eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 156 Abs. 2 SGB IX: Bußgeld bis 10.000,00 €) und konnte Indiz für eine Benachteiligung von Schwerbehinderten im Sinne von § 22 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes) sein. Er führte aber bisher nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern verpflichtete nur zur Nachholung der Anhörung.
Neuregelung: Unwirksamkeit der Kündigung
Nach dem neuen § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX führt ein Verstoß gegen die vorherige Anhörungspflicht unrettbar zur Unwirksamkeit einer gleichwohl ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung. Eine Nachholung der Kündigung ist bei außerordentlichen (fristlosen) Kündigungen aus wichtigem Grund in diesem Fall oft nicht möglich, da in der Regel die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr eingehalten werden kann. Wenn eine erneute Kündigung überhaupt noch auf den Weg gebracht werden kann, ist nach Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung das Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt erneut durchzuführen. Eine Nachholung der Kündigung kann auch dadurch erschwert sein, dass zwischenzeitlich die ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses verstrichen sind und nun zusätzlich die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich ist und der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz zu beachten ist.
Voraussetzungen der Anhörungspflicht
Es muss überhaupt eine Schwerbehindertenvertretung bestehen. Nach § 94 Abs. 1 SGB IX ist eine solche in Betrieben zu wählen, in denen wenigstens 5 schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt werden. Auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung hat der Betriebsrat hinzuwirken. Besteht eine Schwerbehindertenvertretung, so ist sie bei jeder Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu beteiligen und zwar auch bei Kündigungen innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses (obwohl solche Kündigungen nach § 90 SGB IX keiner Zustimmung des Integrationsamtes bedürfen). Erforderlich ist eine so umfassende Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung, dass diese sich ohne weitere Nachforschungen ein eigens Bild von der geplanten Kündigung machen kann. Nachdem der genaue Umfang nicht definiert ist, sollte sicherheitshalber genauso umfassend unterrichtet werden wie bei der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG. Nachdem das Gesetz auch keine Fristen für die Anhörung vorsieht, bleibt Arbeitgebern nur die Möglichkeit, die Fristen für Betriebsratsanhörungen nach § 102 Abs. 2 BetrVG entsprechend heranzuziehen (1 Woche bei ordentlichen Kündigungen, 3 Tage bei außerordentlichen Kündigungen). Bei der ordentlichen Kündigung sollte bei der Frist vorsichtshalber ein weiterer zusätzlicher Tag als Puffer eingerechnet werden, da nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsprechung eine längere Frist gewährt. Wie die Rechtsprechung die Regelungslücke insgesamt künftig behandeln wird, bleibt abzuwarten. Die Anhörung selbst muss vor Einreichung des Zustimmungsantrags beim Integrationsamt erfolgen. Sie kann gleichzeitig zur Anhörung des Betriebsrats erfolgen.
Fazit/Praxisempfehlung:
Kündigungen schwerbehinderten Arbeitnehmer werden durch die Neuregelung weiter erschwert. Die unvollständige gesetzliche Regelung führt zu weiteren Rechtsunsicherheiten und Fehlerquellen für Arbeitgeber. Eine Kündigung von schwerbehinderten Menschen sollte daher genau durchdacht und sorgfältig geplant werden. Bitte beachten Sie, dass die vorstehenden Ausführungen nur der ersten Information dienen und die Rechtslage nicht umfassend darstellen.